Brief der Minne

[171] Ihr süßen Worte,

Ihr leichtbeschwingte sanfte Reime,

Die mit dem zarten Klange,

Summend mit dem harmon'schen Flügel

Durch die Bäume

Ueber Berge fliegt und Hügel,

Liebkoset euch auf eurem Gange

Und nahet euch demüthig jenem Orte,

Wo reizend steht die Schönste unter Schönen,

Da wollet tönen

Und sagen, klagen, wie mein Herz schon lange

Entbehrt des Lebens. Schürzet euch zum Reisen,[172]

Die lieblichste der Weisen

Legt an, und weint und lacht, wenn euch zum Gruße

Die Sprache fehlt, so redet wie die Liebenden im Kusse.


Ihr goldnen Sterne,

Vom hohen blauen Meer ihr Blicke,

Die mir sonst hold gewinket,

Wollt jetzt mit zorn'gen Lichtern scheinen?

Jenes Glücke,

Ach! das seeligste Vereinen

Wie ich es halten will, versinket,

Und ich muß klagen: wieder ist sie ferne!

Ein Widerhall tönt aus dem tiefen Herzen,

Und alle Schmerzen

Beleben heben sich und jeder trinket

Mit schadenfroher Angst von meinen Thränen.

Ach! dürft ich wähnen[173]

Daß bald im Wechsel jener Morgen tage,

Der schlagend Herz zum Herzen, Kuß zum Zwillingskusse trage.


Schon vormals brannten

Die Blicke, hingejagt vom Sehnen

Das spähend über Klüfte

Noch kaum erkannte sein Verlangen,

Wehmuths-Thränen

Mußten in den Augen hangen,

Die Gartenlauben schienen Grüfte:

Bis liebend sich die Seelen dann erkannten,

Da brach nun auf, gelockt von Frühlings-Sonne

Die goldne Wonne,

Mit Kosen Rosen hauchten Liebesdüfte,

Die Farben glänzten nur von ihrer Schöne,

Es sagten alle Töne:

Sie liebt! ich sah den Wald und Garten prangen,

Von jedem grünen Zweige schaukelnd Liebesgötter hangen.
[174]

Doch kaum gefunden

Wonach die durstgen Augen lange

Und das Gehör geschmachtet,

Als beide deine Lieb' empfangen,

Wie so bange

Wieder alle Freuden schwanden,

Das Herz, vom Licht geküßt, umnachtet,

Und ungeheilet bluteten die Wunden.

Soll nicht im Dunkel neu Entzücken leuchten?

Auf rosenrothem feuchten

Mund bebtet schwebtet Küsse ihr und lachtet.

Ich mußte schon dem nackten Wort erliegen,

Nun wollt' es kriegen

Und sprang in Rüstung her und rief: Verstehen

Sollst du nun die Gewalt der Lippen und im Kuß vergehen!


Und sanft zerdrücket

Ward nun das Liebeswort, gesprochen[175]

Kaum, ward es Schallen,

Und auch das rothe süße Lachen

Ward zerbrochen,

Und sank unter wie ein Nachen

Wenn stürmend Wogen über Wogen wallen,

So jagte Kuß den Kuß, und wie entzücket

Die Lippen fechten sind empor geschwungen

Die Freudenthränen auch zum Kampf gedrungen,

Jedwede Rede wird ein jauchzend Lallen,

Die Seelen grüssen sich und ohne Klänge

Ertönen hell und lieblich die Triumph- und Siegsgesänge.


Spannt eine Brück' ihr her wie Regenbogen,

Ihr lichten Reime,

Daß sie nicht säume

Und mit der Liebe Kriegszeug hergezogen

Aus todter Weite,

Von neuem mit mir streite;[176]

Im Wald, im Quell, umher in allen

Bewegten Blumen hör' ich Kuß und Liebesgötter schallen,

Es tönt von wundersamen Glücke

Ein Strom von Melodieen,

Drum komm zurücke

Daß noch im Sommerglanz neu unsre Herzen blühen.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 1, Heidelberg 1967, S. 171-177.
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