Auf die Genesung meines Vaters, den ich für tot gehalten hatte

[242] Im Dezember 1773.


Dränge dich, mein Lied, vor allen

Zu des Hochgelobten Thron!

Lauter müssest du erschallen,

Als noch je ein Dankeston![242]

Mit der Freude frommem Beben,

Gott! mit Thränen dank' ich dir;

Meines Vaters zweites Leben,

Meinen Vater gabst du mir!


Ach! du Teurer, als du littest,

Freut' ich mich auf fremder Flur;

Als du mit dem Tode strittest,

Kannt' ich Frühlingsfreuden nur;

Banger Ahndung Schauer schreckte

Mich in ihren Armen nicht,

Und aus schweren Träumen weckte

Mich kein deutendes Gesicht.


Aber, Gott! wie Donner, hallten

Todesstimmen schnell daher;

Bleiche, sterbende Gestalten

Schwebten fürchterlich umher.

Nirgends Frühling! Vögel schweigen;

Vater, ach, so schweigest du!

Blumen sinken; ach, sie neigen,

Vater, sich dem Grabe zu!


Beten? – Gott! ich kann nicht beten,

Hörst du nicht die Seufzer an!

Ach ich kann, ich kann nicht beten!

Und er ist der beste Mann! –

Wochen schwinden! Immer trüber,

Immer schwärzer um mich her!

Vater! ach, es ist vorüber!

Ach, du leidest wohl nicht mehr!


Fern von deinem frühen Grabe

Wein' ich tausend Thränen dir!

Vater! unsre beste Gabe,

Thränen gab der Himmel mir!

Schwester, weinest du? Vergieße

Sie auf deines Vaters Grab,

Diese Thränen! ach, es fließe

Eine mit für mich herab! –[243]


Gott! Er lebt! Er lebt! da wallen

Friedensboten her zu mir!

Laute Jubeltöne schallen!

Gott ich dank', ich dank' ihn dir!

Sterben soll er nicht, soll leben!

Leben! scholl's von dir herab.

Gott, wie soll ich dich erheben!

Dich, der ihn mir wiedergab!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 242-244.
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