Lebenslied

[125] Kommen und Scheiden,

Suchen und Meiden,

Fürchten und Sehnen,

Zweifeln und Wähnen,

Armuth und Fülle, Verödung und Pracht

Wechseln auf Erden, wie Dämmrung und Nacht!


Fruchtlos hienieden

Ringst du nach Frieden!

Täuschende Schimmer

Winken dir immer;

Doch, wie die Furchen des gleitenden Kahns,

Schwinden die Zaubergebilde des Wahns!


Auf zu der Sterne

Leuchtender Ferne

Blicke vom Staube

Muthig der Glaube:

Dort nur verknüpft ein unsterbliches Band

Wahrheit und Frieden, Verein und Bestand!
[125]

Günstige Fluthen

Tragen die Guten,

Fördern die Braven

Sicher zum Hafen,

Und, ein harmonisch verklingendes Lied,

Schließt sich das Leben dem edlen Gemüth!


Männlich zu leiden,

Kraftvoll zu meiden,

Kühn zu verachten,

Bleib' unser Trachten!

Bleib' unser Kämpfen! in eherner Brust

Uns des unsträflichen Willens bewußt!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 125-126.
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