Der Erbarmer

[163] O Bewunderung, Gottes Bewunderung,

Meine Seligkeit!

Nein! wenn sie nur bewundert,

Hebt sich die Seele zu schwach!


Erstaunen! himmelfliegendes Erstaunen!

Über den, der unendlich ist!

O du der Seligkeiten höchste,

Überströme du meine ganze Seele


Mit deinem heiligen Feuer!

Und lass sie, du Seligkeit,

So oft, und so hoch die Endliche kann,

Aufflammen in Entzückungen!


Du warest! du bist! wirst seyn! du bist! wie soll ich dich denken?

Meine Seele stehet still, erreichet es nicht!

Vater! Vater! So soll meine Seele dich denken,

Dich empfinden mein Herz! meine Lippe dich stammeln.
[164]

Vater! Vater! Vater!

Fallt nieder, betet an, ihr Himmel der Himmel!

Er ist euer Vater!

Unser Vater auch!


O ihr, die einst mit der Himmel Bewohnern

Erstaunen werden!

Wandelt forschend in diesem Labyrinth der Wonne,

Denn Jehova redet!


Zwar durch den rollenden Donner auch,

Durch den fliegenden Sturm, und durch sanftes Säuseln;

Aber erforschlicher, daurender,

Durch die Sprache der Menschen.


Der Donner verhallt, der Sturm braust weg, das Säuseln verweht,

Mit langen Jahrhunderten strömt die Sprache der Menschen fort,

Und verkündiget jeden Augenblick,

Was Jehova geredet hat!


Bin ich am Grabe noch? oder schon über dem Grabe?

Hab' ich den himlischen Flug schon gethan?

O Worte des ewigen Lebens!

Also redet Jehova:
[165]

Kann die Mutter vergessen ihres Säuglings,

Dass sie sich nicht über den Sohn ihres Leibes erbarme?

Vergässe sie sein;

Ich will dein nicht vergessen!


Preis, Anbetung, und Freudenthränen, und ewiger Dank,

Für die Unsterblichkeit!

Heisser, inniger herzlicher Dank

Für die Unsterblichkeit!


Halleluja im Heiligthume!

Und jenseit des Vorhangs

In dem Allerheiligsten Halleluja!

Denn so hat Jehova geredet!


Wirf zu dem tiefsten Erstaunen dich nieder,

O du, die unsterblich ist,

Geneuss, o Seele, deine Seligkeit!

Penn so hat Jehova geredet!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 163-166.
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