Flackre, ew'ges Licht im Tal

[173] Flackre, ew'ges Licht im Tal,

Friedlich vor dem Fronaltare:

Auch dein Küster liegt einmal,

Der das Öl hat, auf der Bahre!


Rausche fort, du tiefer Fluß!

Dein Gesang wird fortbestehen;

Aber jede Welle muß

Endlich doch im Meer vergehen.


Nachtviolen, süß und stark

Duftet ihr durch diese Lauben,

Und ihr wißt das feinste Mark

Luft und Erde schnell zu rauben.
[173]

Von der warmen Nacht geküßt,

Säumt ihr nicht, es auszuhauchen,

Eh ihr selber wieder müßt

Eure Köpflein untertauchen.


Aus des Äthers dunklem Raum

Perlen leuchtend goldne Sonnen,

Kommen, schwinden wie ein Traum,

Doch gefüllt bleibt stets der Bronnen.


Und nur du, mein armes Herz,

Du allein willst ewig schlagen,

Deine Lust und deinen Schmerz

Endlos durch die Himmel tragen?


Ewig neu der Wirbel ist,

Zahllos aller Dinge Menge,

Und es bleibt uns keine Frist,

Zu beharren im Gedränge.


Wie der Staub im Sonnenstrahle

Wallt's vorüber, Kern und Schale –

Ewig ist, begreifst es du,

Sehnend Herz? nur deine Ruh!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 173-174.
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