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[82] Gestern eine Aventür'

Hatt ich, die mir weh getan;

Allerliebste, denke dir!

Einen Burschen traf ich an,

Jung und fein und glattgestrichen,

Der dir auf ein Haar geglichen,

Wie der Tulp' die Tulipan!


Ja, dein Antlitz trug er dreist,

Deine Züge frech zur Schau;

Doch, was mich noch allermeist

Ärgerte, o zarte Frau!

War das dunkle Gold der Haare

Und dein Rot, das wunderbare,

War der Augen süßes Blau.


Aber was mir stets an dir

War von unschätzbarem Wert,

Ward mir unerträglich hier

In das Gegenteil verkehrt.

Jede Zierde deiner Züge

Schien hier eine schnöde Lüge,

Ja verspottet und entehrt!


Weibisch war der Haare Licht;

Deine Linien, zart und fein,

Sind zum Schneiderangesicht

Worden, unbedeutend, klein.

Deiner Augen Sternenschimmer

Ward zum wässerigen Flimmer,

Blöden Geistes Widerschein.
[83]

Seines Mundes Freundlichkeit

War beleidigend für mich:

Was mich freute jederzeit,

Gestern war's mir widerlich;

Schier hätt ich dein Bild geschlagen,

Ja! ihn aus der Welt zu jagen,

Wünscht ich angelegentlich.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 82-84.
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