1.

[252] Was klingt mir so heiter

Durch Busen und Sinn?

Zu Wolken und weiter,

Wo trägt es mich hin?


Wie auf Bergen hoch bin ich

So einsam gestellt

Und grüße herzinnig,

Was schön auf der Welt.


Ja, Bacchus, dich seh ich,

Wie göttlich bist du!

Dein Glühen versteh ich,

Die träumende Ruh.


O rosenbekränztes

Jünglingsbild,

Dein Auge, wie glänzt es,

Die Flammen so mild!


Ist's Liebe, ist's Andacht,

Was so dich beglückt?

Rings Frühling dich anlacht,

Du sinnest entzückt. –


Frau Venus, du Frohe,

So klingend und weich,[252]

In Morgenrots Lohe

Erblick ich dein Reich


Auf sonnigen Hügeln

Wie ein Zauberring. –

Zart' Bübchen mit Flügeln

Bedienen dich flink,


Durchsäuseln die Räume

Und laden, was fein,

Als goldene Träume

Zur Königin ein.


Und Ritter und Frauen

Im grünen Revier

Durchschwärmen die Auen

Wie Blumen zur Zier.


Und jeglicher hegt sich

Sein Liebchen im Arm,

So wirrt und bewegt sich

Der selige Schwarm. –


Die Klänge verrinnen,

Es bleichet das Grün,

Die Frauen stehn sinnend,

Die Ritter schaun kühn.


Und himmlisches Sehnen

Geht singend durchs Blau,

Da schimmert von Tränen

Rings Garten und Au. –


Und mitten im Feste

Erblick ich, wie mild!

Den stillsten der Gäste. –

Woher, einsam Bild?


Mit blühendem Mohne,

Der träumerisch glänzt,

Und mit Lilienkrone

Erscheint er bekränzt.[253]


Sein Mund schwillt zum Küssen

So lieblich und bleich,

Als brächt er ein Grüßen

Aus himmlischem Reich.


Eine Fackel wohl trägt er,

Die wunderbar prangt.

»Wo ist einer«, frägt er,

»Dem heimwärts verlangt?«


Und manchmal da drehet

Die Fackel er um –

Tiefschauernd vergehet

Die Welt und wird stumm.


Und was hier versunken

Als Blumen zum Spiel,

Siehst oben du funkeln

Als Sterne nun kühl. –


O Jüngling vom Himmel,

Wie bist du so schön!

Ich laß das Gewimmel,

Mit dir will ich gehn!


Was will ich noch hoffen?

Hinauf, ach hinauf!

Der Himmel ist offen,

Nimm, Vater, mich auf!


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 252-254.
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