Die Todtenuhr

[27] Bei winternächt'ger Stille

Im lampenhellen Zimmer

Lag ich in tiefen Träumen

Auf grünem Pfühl – wie immer!

Dazwischen pochte nur

So geisterhaft die Todtenuhr.


Und vor mir stand bezaubernd

Aus alter Zeit die Schöne;

Die stummen Augen sprachen

Wie sel'ge Liebestöne ...

Dann hört' ich wieder nur

So geisterhaft die Todtenuhr.
[27]

Es kam des Freundes Schatten

Mit todesbleichem Munde;

Er zeigte traurig lächelnd

Mir seines Herzens Wunde ...

Und wieder hört' ich nur

So geisterhaft die Todtenuhr.


Viel and're noch. Als letzte

Blutlose Schatten nahten

Mit duftlos welken Kränzen

Die Sorgen, Wünsche, Thaten ...

Eintönig pochte nur

So geisterhaft die Todtenuhr.


Und allen gab mein Träumen

Ein flüchtig schönes Leben,

Und alles sah ich wieder

In Grabesnacht verschweben ...

Denn immer pochte nur

So geisterhaft die Todtenuhr.


Indessen um mich langsam

Hinstarb der Lampe Schimmer,

Da winkte mir im Traume

Der Sterne Glanzgeflimmer ...

Doch stärker pochte nur

So geisterhaft die Todtenuhr.


Nacht war's. Ich sah die Erde

In weiter blauer Ferne

Als goldnes Sternchen schweben

Im Reigentanz der Sterne ...

Und leiser pochte nur

So geisterhaft die Todtenuhr.


Wie eine Rose deuchte

Die Erde mir zu blühen,

Wie eine kleine Leuchte

Sah ich sie stumm verglühen ...

Da schwieg – täuscht' ich mich nur? –

So geisterhaft die Todtenuhr.
[28]

Wie mich die Geisterstille

Der Winternacht erweckte!

Wie mich die Todesruhe

Im Dunkel rings erschreckte! ...

O warum schwiegst du nur

So geisterhaft, o Todtenuhr?


Ach Würmchen, nun belohnet,

Sagt' ich mir unter Thränen,

Wohl eines Weibchens Liebe

Dein liebewerbend' Sehnen ...

Ich bin so einsam nur –

O poche wieder, Todtenuhr,

O poche, poche, Todtenuhr!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 27-29.
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